|
| Fernsehen zwischen den Fronten |
Der Fernsehsender TV Sutel strahlt seine Programme vor allem auf Romanis aus. Damit haben die Roma ein Medium, das ihre Kultur, Sprache und Musik pflegt. Doch harmlos-harmonisch ist das Programm nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten erf�llt der Sender eine wichtige Funktion im fragilen mazedonischen Friedensprozess. In den schwelenden Konflikten zwischen christlichen Mazedoniern und muslimischen Albanern werden Sinti und Roma oft an den Rand gedr�ngt. Oder schlimmer, wie Roma-Vertreter sagt: �Wir sind meist die ersten, die gelyncht werden.�
Von Michael Gleich
|
Zwei knochige H�nde tauchen wie aus dem Nichts auf. Pl�tzlich fuchteln sie direkt vor dem Objektiv, dirigieren die Szene, dulden keinen Aufschub. �Jetzt will ich was sagen�, schreit die alte Begani. Und legt los: �Wir haben kaum zu essen. Und wenn, dann nur Reis. Immer nur Reis. Wir hausen in einem Verschlag, aber daf�r m�ssen wir auch noch Miete zahlen. Ich halte das nicht mehr lange aus!� Die H�nde der 80j�hrigen flattern, in den Winkeln ihres faltigen Mundes sammeln sich wei�e Spucketr�pfchen. Die Kamera l�uft. Es ist eine alte Roma-Frau, die mit ihrer ganzen Sippe aus dem Kosovo hierher geflohen ist, die kurzerhand den heutigen
Drehplan umschmei�t.
Reporter Mishko Taleski zuckt mit den Schultern. So sei das halt, wenn ein Team von TV Sutel irgendwo auftauche: �Die Leute laufen zusammen, und wer vor der Kamera etwas loswerden will, l�sst sich davon nicht abhalten.� Das will er auch gar nicht. Schlie�lich wird der kleine Sender von Roma betrieben, versteht sich als Auge, Ohr und Mund einer ethnischen Minderheit, die sonst nur selten zu Wort kommt. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern auf dem Balkan gerieten �die Zigeuner� immer wieder zwischen die Fronten, wurden oft als erste vertrieben. Oder Schlimmeres. Hier in Suto Orizari, am Nordrand der mazedonischen Hauptstadt Skopje, f�hlen sie sich sicher und �daheim�, so paradox es bei einem hochmobilen Volk klingt. Eine Mischung von Lager und Kleinstadt, ist Suto Orizari schnell auf 40000 Einwohner angewachsen, die allermeisten sind Roma.
Und mittendrin TV Sutel. Die Station hat sich in einem zweist�ckigen Haus eingemietet. Nur eine gro�e Satellitensch�ssel auf dem Dach weist darauf hin, dass hier Fernsehen nicht empfangen, sondern gesendet wird. Die T�ren zur Redaktion stehen offen. Von drau�en schallt eine Kakophonie von Autohupen, Muezzin-Gesang und Hochzeitsmusik herein, der Duft von gegrilltem Fleisch mischt sich mit dem Gestank von verbrennendem Abfall, ein deutscher Sch�ferhund r�kelt sich zwischen den Schreibtischen.
Mishko Taleski st�hnt genervt. Er ist mal wieder vom Nachschub an Nachrichten abgeschnitten, der Internet-Anschluss ist tot. Muss er sich seine Meldungen auf anderen Wegen beschaffen. Das Fax geht noch, immerhin. Er schneidet die eintreffenden Berichte auf ein handliches Format; von diesen Bl�ttern wird er die Abendnachrichten verlesen. Improvisation ist f�r ihn nicht die Ausnahme, sondern Tagesgesch�ft. Sutel sendet von neun bis 23 Uhr, besch�ftigt aber nur drei feste und zehn freie Mitarbeiter. Von den sp�rlichen Werbeeinnahmen und bezahlten Musikw�nschen k�nnte die Station kaum �berleben. So ist sie abh�ngig von den Zusch�ssen der Schweizer Medienhilfe, einer Organisation, die in Mazedonien solche Medien unterst�tzt, die besonders fair �ber politische und ethnische Themen berichten.
�Journalisten k�nnen einen Konflikt anheizen, indem sie einseitig und emotional berichten,� meint Tanja Popovic, Vertreterin der Medienhilfe in Skopje, � oder sie k�nnen, wie Sutel, zu gegenseitigem Verst�ndnis beitragen, indem sie ausgewogen alle Seiten ber�cksichtigen. Insbesondere die Roma brauchen eigene Medien, um geh�rt zu werden.� Journalismus, der fair und ohne ethnische Scheuklappen recherchiert, ist auf dem Balkan immer noch eine Seltenheit. Insofern sind Sender wie Sutel ein wichtiger Beitrag zum Friedensprozess in der Region.
Romanis als Sprache �berwiegt im Programm, in Schulfunk und Kulturprogrammen wird versucht, das Idiom lebendig zu halten, das viele Jugendliche nur noch l�ckenhaft beherrschen. Politische und soziale Anliegen der Roma � etwa die unw�rdige Lage der Fl�chtlinge aus dem Kosovo �, sollen im Mittelpunkt der Sendungen stehen. Fernsehen ist weit wichtiger als Zeitungen oder Radio, weil insbesondere einige �ltere Roma nicht schreiben und lesen k�nnen. �ber einen Sender zu verf�gen, der ihre Sichtweisen und Traditionen auch nach au�en, in die Hauptstadt Skopje tr�gt, st�rkt enorm das Selbstbewusstsein eines Volkes, das �ber ganz Europa verstreut lebt und selten gut gelitten ist.
Doch allzuoft stehlen internationale Themen den Roma-Nachrichten die Schau. Dabei liegen sie in �Sutka�, wie die Siedlung in Kurzform genannt wird, buchst�blich auf der Stra�e. Das Leben spielt sich in den hei�en Monaten drau�en ab. Roma aus ganz Europa kommen in der Ferienzeit hierher, um Verwandte zu besuchen, am eigenen Haus weiter zu werkeln oder zu heiraten: Sommer ist die Saison der Hochzeiter. Jeden Tag t�rmen Bands gigantische Lautsprecher auf den Asphalt, �ppig geschm�ckte Frauen in Pumphosen und Glitzerjacken tanzen zu Melodien, die einen langen Weg von Spanien bis Indien hinter sich haben. Vor einem Taubenschlag sitzt ein t�towierter Mann im Unterhemd und f�ttert seine V�gel, �wie ich datt in Gelsenkiach�n gelernt habe�, sagt er mit Ruhrpott-Dialekt. �berhaupt, die Sprachen. In jeder Familie findet sich einer, der deutsch kann, aber auch franz�sisch, t�rkisch, spanisch und fast jedes Idiom des Balkans sind vertreten. Sutka ist europ�isches Multikulti im Miniformat.
Mishko besch�ftigt sich lieber mit der gro�en Politik. Nicht nur, weil das einem Journalisten mehr Renommee bringt: F�r Dreharbeiten in Sutka fehlt ihm oft die Zeit, meist ein Kameramann und manchmal das Auto, das ihn vor Ort bringen k�nnte. Einfacher dagegen zapft er Berichte aus der weiten Welt aus dem Satellitenkanal. �ber den deutschen �Kanzler Sreder� und die befreiten Mali-Geiseln, Tote in Bagdad, die EU-Erweiterung. Um daraus eine halbst�ndige Abendschau zu machen, legt Mishko fliegende Rollenwechsel hin, vom Redakteur zum Cutter, vom Regisseur zum Sprecher. Obwohl es schon sp�t am Nachmittag ist und der Countdown f�r die 20-Uhr-Nachrichten l�uft, zeigt der 28j�hrige keinerlei Spur von Nervosit�t. Stattdessen philosophiert er �ber den politischen Kurs des Senders: �Sutel verh�lt sich sehr kritisch gegen�ber jeglichem Fundamentalismus, egal aus welcher Richtung er kommt. Obwohl ich selbst Mazedonier bin, drehe ich Reportagen �ber Sorgen und N�te anderer Gruppen, ob Albaner oder Roma oder T�rken. Neutralit�t ist bei uns selbstverst�ndlich. Und unsere Zuschauer unterst�tzen das.�
Wie in vielen Regionen des Balkans, birgt auch das V�lkergemisch Mazedoniens jede Menge Z�ndstoff. Meist ranken sich die ethnischen Querelen um die Teilhabe an politischer und wirtschaftlicher Macht. Im Jahr 2001 flammten die unterschwelligen Konflikte zu einem offenen Krieg auf. Der dauerte nur sechs Monate, warf das Land jedoch um Jahre zur�ck. Rund 150000 Fl�chtlinge, einige Hundert Tote und ein Klima tiefen Misstrauens gegeneinander waren die Folgen, die noch lange nicht bew�ltigt sind. Zwar existiert das �Ohrid-Abkommen�, das die Gleichberechtigung aller Gruppen vorsieht; doch die relative Ruhe im Lande verdankt sich vor allem einer starken internationalen Pr�senz.
�In solch einer kippeligen Situation,� meint Mishko, �k�nnen aufgebauschte Nachrichten die Stimmung zus�tzlich anheizen. Wir Journalisten haben eine besondere Verantwortung, das Gespr�ch zwischen den ethnischen Gruppen nicht zu gef�hrden.� In seinem Politmagazin �Dvogled� (Fernglas) bringt er Vertreter der verfeindeten Parteien zusammen � zumindest versucht er es: �Manchmal m�ssen wir die Interviews einzeln drehen, weil sie sich nicht zusammen mit einem �Gegner� filmen lassen wollen.�
Es ist 19 Uhr 59. Mishko tr�gt immer noch das kurz�rmelige Hemd, in dem er nachmittags recherchiert, geschrieben, gedreht, geschnitten und gesprochen hat. Jetzt zieht er seelenruhig ein Jacket dr�ber und nimmt Platz in der Ecke des winzigen Studios, wo das Sprecherpult steht. Einer der Techniker hat eine nachrichtentaugliche Krawatte bereit gelegt. W�hrend er sie umbindet, baut direkt neben ihm eine Jazzband mit viel Gepolter ihre Verst�rker und Boxen auf. �Nix zu essen, keine Arbeit � aber Musik geht immer�, hatte ein Roma w�hrend der Dreharbeiten bei den Kosovo-Fl�chtlingen geflachst. In Minuten des Zweifels fragt sich Mishko, was die Zuschauer an TV Sutel mehr lieben: Diskussionssendungen oder Zigeunerjazz? Und in guten Stunden gibt er zur Antwort: �Beides ist wichtig, wenn es darum geht, Roma-Kultur zu pflegen.�
Der Sekundenzeiger r�ckt Richtung zw�lf. Ein aufgeregter Vorspann, mit animierten Globen und schmetternden Fanfaren wird abgefahren, der CNN in nichts nachsteht. An der einzigen Studiokamera leuchtet das Rotlicht auf. Routiniert hebt Mishko den Blick von seinen Bl�ttern, schaut fest ins Objektiv: �Guten Abend, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. � Bagdad....� Mishko spricht. Und f�r eine halbe Stunde m�ssen die Musiker nebenan mucksm�uschenstill sein.
|
|
|
Oben links:
Lieblingssender: Eine Roma Familie schaut TV Sutel. Besonders beliebt sind Schlager und Gr��e an Freunde und Verwandte. |
Oben rechts:
Offener Kanal: Bei Dreharbeiten taucht eine alte Roma Frau auf und klagt der Reporterin ihr Leid � vertrieben aus dem Kosovo, unerw�nscht in Mazedonien. |
Photos:
Uli Reinhardt/Zeitenspiegel |
| Auf Klick vergr��erbar |
|
|