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Es gibt Orte auf dieser Welt, die sind so
m�rderisch, da kann selbst das Gl�ck t�dlich
sein. Die Pupillen kippen, der Mund ist ein
Riss im Gesicht, klaffend vor Schmerz.
Frenetischer Applaus hebt an, Trommeln, die
letzten Meter, und der Kopf des M�dchens
schleudert haltlos zwischen den Schultern.
Links, rechts, links, rechts, als sei ihr das
Genick gebrochen. �Das ist Achel�, schreit
jemand in den Zuschauerreihen. �Seht nur!
Wie sie fliegt!�
Von Wolfgang Bauer
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Achel rennt, halb besinnungslos, zwei, drei
Schritte schneller als die Ohnmacht. Ihre Arme
rotieren �ber Kreuz, sie torkelt, ein Mensch im
freien Fall, als st�rze er aus gro�er H�he. �Gehe
nicht dorthin!� hatte der Vater die 17-J�hrige
gewarnt. �Du wirst dabei umkommen.� Heisere
Ges�nge branden auf, Halbnackte hinter Tiermasken
schwenken Fahnen. Sie rennt der Ziellinie
entgegen, auf papyrusd�rren Beinen, auf nackten
Sohlen. Es ist das mit Spannung erwartete
Halbfinale. 400 Meter der Frauen, h�rteste aller
Disziplinen, weit abgeschlagen sind die
Verfolgerinnen. Achel durchbricht das Zielband,
kollabierend, die Zuschauer jubeln, mitleidslos,
denn sie kennen diesen Anblick schon: Auch
Sieger sehen aus wie Sterbende.
Sagt diesem Wahnsinn ab, mahnten Leute, die es
gut meinten. Zu gef�hrlich. Zu ungewiss der
Ausgang. Es wird unser Verderben. Ihre Argumente
waren vern�nftig. Der S�dsudan ist ein
denkbar schlechter Austragungsort f�r olympische
Spiele. Doch Acuil Banggol, 44, Ex-Profi-Basketballer
und Leiter einer kleinen Hilfsorganisation,
lie� sich davon nicht ab-bringen: Er holte Olympia
in seine Heimat. Begeistert von den Spielen in
Sydney taufte er die Idee, von der die meisten
sagten, sie sei irrsinnig: �Twic Olympics�. �Sport
ist wie Magie�, erkl�rt er den Alten, die an ihren
Feuern Naturgeister besingen. �Er ver�ndert dich.
Verzaubert. Er zieht dich mit. Wenn der Sportsgeist
dich ber�hrt, dann lernst du das Siegen neu
und das Verlieren.� L�cherlich, meinten die
Skeptiker unter den Dorfvorstehern. �H�r auf, zu
tr�umen.�
Der Tod scheint hier mehr zuhause als das Leben.
Seit der Unabh�ngigkeit von Gro�britannien 1956
gab es im S�dsudan zw�lf Jahre Frieden und die
schlimmsten Kriege der neueren Geschichte. Im
Konflikt zwischen arabischem Norden und
schwarzafrikanischem S�den starben mehr
Menschen als in den B�rgerkriegen von Bosnien
und Somalia zusammen. 2,5 Millionen. Jeder f�nfte
S�dsudanese kam ums Leben. Alle Plagen der
Menschheit toben hier in archaischen Dimensionen.
Hunger, Sklaverei, Krankheiten. Nichts ist
diesem Land so fremd wie ein Sportfest und
Wettk�mpfe, die ohne Kalaschnikows ausgetragen
werden sollen. Aber Banggol, der Tr�umer, setzte
sich durch. Die �Twic Olympics� gibt es nun schon
im vierten Jahr. Ausl�ndische Sponsoren wie �Brot
f�r die Welt� unterst�tzen sie. Das UNWeltern�hrungsprogramm
kommt f�r die Versorgung
auf. Die Regeln des Internationalen
Olympischen Komitees, sofern Banggol sie in
Erfahrung bringen konnte, treten jetzt gegen die
des Krieges an.
Dieses Olympia ist auf keiner Karte verzeichnet.
Die Arena, zu der die Zuschauer str�men, zu
Tausenden, zu Fu�, in tagelangen M�rschen, ist
ein planes Feld. Es besitzt die klassischen Abmessungen eines Leichtathletikstadions, Feigenb�ume begrenzen es. Eine dicke Staubschicht liegt darauf,
in ihr lauern Dornen auf die Olympioniken,
zentimeterlang, die das Vorbereitungsteam hin
und wieder �bersah. Der leidige Zeitdruck. �Das
war ohnehin eine Plackerei!� st�hnt Baustellenleiter
Akel, beleibt, gem�tlich und Banggols Ex-
Trainer. �Ich habe sechs Monate meines Lebens
geopfert, ich wurde von einem halben Dutzend
Skorpionen gestochen und h�re jetzt nur Klagen!�
Sch�tzengr�ben durchzogen den Athletenacker,
Finale des 1600 Meter-Staffel- Laufs der M�nner.
Ein v�llig ersch�pfter L�ufer �bergibt den Stab an
den n�chsten L�ufer
vor drei Jahren noch Schlachtfeld, auf dem sich
die S�drebellen untereinander bekriegten.
Die Gr�ben mussten eingeebnet werden. Akel f�llte
B�ume, brannte B�sche ab, lie� Scheunen f�r
die Vorr�te errichten, alles von Hand.
Die Lage des Stadions ist klug gew�hlt: Es liegt
auf einer Art Halbinsel in den S�mpfen des
Wei�en Nils, die zur Olympiade im Fr�hjahr gerade
so niedrig stehen, dass Menschen durch sie
hindurch waten k�nnen. Gleichzeitig ist das
Wasser aber noch so hoch, dass Pferde stecken
bleiben. Und auf Pferden kommen die arabischen
Milizen aus dem Norden gew�hnlich, um D�rfer zu
brandschatzen, die M�nner zu t�ten und Frauen
zu rauben. Es herrscht zwar gerade Waffenstillstand
an der Front, 30 Kilometer entfernt. Wie
sicher der ist, wei� hier niemand. Solche Details
hatte der gem�tliche Akel zu bedenken.
Es wettk�mpfen: Mannschaften aus den f�nf
Distrikten von Twic. Die besten ihrer Generation,
Kinder des Krieges, junge M�nner darunter, die
mit zehn Jahren zur Rebellenarmee rekrutiert,
junge Frauen, die im selben Alter von einfallenden
Arabern versklavt wurden. �bliche Jugendbiografien
in diesem Land.
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Oben links:
Wie ein Profi jongliert ein Junge aus Pannyok mit einen Ball. |
Oben rechts:
Vorausscheidungen f�r den 1600 Meter-Staffel-Lauf der M�nner. Ein L�ufer ist am Ziel zusammengebrochen. Grund ist oft die mangelhafte Ern�hrung der Sportler. |
Photos:
Christoph P�schner/Zeitenspiegel |
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